Interview: Jens Leichsenring

4:1 gegen die Niederlande, 5:1 gegen Belgien, 6:0 gegen Spanien und Russland – gerade kommt Jugend-Nationalspielerin und ESV-Co-Trainerin Cara Sambeth als frisch gebackene Europameisterin von der U18-Hockey-EM in Valencia (19.07.-24.07.2021) zurück.
Mitte August beginnt sie ihr Studium in den USA. Ein Gespräch über den ESV als Wegbereiter für Nationalspielerinnen, Druck im EM-Team und eine folgenreiche Entscheidung.
Mittwoch, 10 Uhr, vier Brezn, zwei Cappuccini und eine Regenpause vor dem Hockeyhaus des ESV. „Hi! Schön, dass es klappt“. Cara hat sichtlich gute Laune. Wir sind zum Interview verabredet. Einen Termin bei der jungen, sympathischen Frau mit blondem Zopf, braunem Hoodie und den strahlend braunen Augen zu bekommen, ist gar nicht so einfach: Studium an der TUM, Nationalmannschaft, Freunde und Familie, Reisevorbereitungen. Wir wollen über ihren Erfolg in Valencia sprechen und den langen Weg vom ESV Mini zum Titel. Oft lacht sie herzlich und die Antworten sprudeln nur so aus ihr heraus. Für andere Fragen nimmt sich Cara bewusst viel Zeit, überlegt genau, was sie sagen will, wägt ab, um dann stets klar und präzise zu beschreiben, was sie bewegt. Es sollte ein kurzweiliges Gespräch werden.
Gratuliere zum EM-Titel! Erzähl mal, wie war’s?
Die EM war sehr sehr cool, hat sehr viel Spaß gemacht. Und es war ein super cooles Team und dadurch waren es auch richtig hohe Ergebnisse: 6:0, 6:0, 5:1 und 4:1.

Klingt als wärt ihr auf einer Erfolgswelle gesurft …
Ja, genau. Wir waren extrem „on fire“, da gelingt fast alles. So schießt man ein Tor nach dem anderen und es macht immer mehr Spaß. Dann geht’s richtig ab und du hast richtig Bock!
Mit dir und Joana Boehringer waren zwei Spielerinnen dabei, die von Kindheit an beim ESV waren, hier mit Schläger laufen und erfolgreich Hockeyspielen gelernt haben. Dazu kommen weitere Jugend-Nationalspielerinnen, die hier spielen oder spielten. Woher kommt es, dass gerade der ESV so viele erfolgreiche Sportlerinnen hervorbringt? Vorbilder beim ESV gab es ja nicht wirklich für euch, oder?
Nein, die gab es nicht, stimmt. Wichtig war auf jeden Fall, dass wir in der Breite sehr gut aufgestellt waren und sind. Fast gleichzeitig sind viele von uns zum BHV gekommen. Zudem ist das Training einfach gut. Die Trainingsmöglichkeiten sind super hier und werden immer besser. Wenn du ein gutes Team als Basis hast und zugleich Einzelne, die weiter gefördert und immer besser werden, ist das perfekt. So ein Team braucht’s. Wenn du im Eins-gegen-eins gegen Schlechtere spielst, wirst du einfach nicht besser. Die Herausforderung ist extrem wichtig.
Und die ist nochmal mehr in der Nationalmannschaft gegeben.
Auf jeden Fall. Dass alle auf einem super Niveau spielen, das macht die Nationalmannschaft aus. Du hast immer jemanden, den du anspielen kannst, der eine geile Aktion macht, der’s kann. Du kannst dich viel mehr messen und hast viel geilere Spiele.
Ist das spielerisch nochmals auf einem anderen Niveau als die 1. Bundesliga, in der du ja beim Münchner SC spielst?
Sagen wir so: Es ist anders. In der Bundesliga ist eine viel größere Altersspanne als in den Jugend-Nationalmannschaften. In der Jugend spielt die Technik eine riesige Rolle, in der Bundesliga kommt die Erfahrung dazu. Da spielen 17-Jährige gegen 30-Jährige. Da können die Erfahrenen den kleinen Neuen nur durch ihre Erfahrung und das daraus folgende Stellungsspiel den Ball abnehmen. Das ist in der Jugend ganz anders.
Ist in der U18 dann vielleicht der Teamgeist besser, weil alle fast gleich alt sind?
Das ist schwierig, weil wir uns ja nicht viel sehen. Im März und am Ende des Jahres gibt es immer einen Lehrgang. Dazu kommen die Sommermaßnahmen mit Länderspielen. In diesen kurzen Zeiten musst du ein Team werden. Supercool, wenn du schon Leute aus der U16 kennst, mit denen du in die U18 wechselst. Aber es gibt auch viele Teambuilding-Maßnahmen außerhalb des Hockeyplatzes. Ein cooles Team wirst du natürlich, wenn du mit den Leuten gute Erinnerungen teilst – am besten, wenn du gewinnst (lacht). So eine EM schweißt schon nochmals enger zusammen.
Das Team ist dann aber nur die Spitze des Eisbergs. Bis man da landet, scheiden immer wieder Spielerinnen aus …
Ganz klar. So wie dieses Jahr. Am Anfang gab es zwei Lehrgänge. Da waren wir 26. Dann kam das erste Länderspiel gegen Polen. Da waren wir noch 18, wobei gegen Polen Spielerinnen fehlten, die schon ziemlich sicher dabei waren. So fallen immer wieder Mitspielerinnen weg. Bis dann bei der vorletzten Maßnahme die letzten zwei rausgefallen sind. Dann stand der Kader mit 16 Spielerinnen und zwei Torhüterinnen fest.

Puh, ganz schön hart!
Ja, das ist hart. Und man bekommt das schon auch sehr intensiv mit.
Weil …?
(Überlegt) Bei ein paar Spielerinnen konnte ich den Druck im Spiel sehen. Die haben einfach nicht befreit aufgespielt. Sie haben sich zu viel Druck beim Konkurrenzkampf gemacht, als würden sie mit angezogener Handbremse spielen. Als sie dann raus waren, haben sie viel freier aufgespielt. Ich dachte mir manchmal „warum hast du das nicht vorher auch so gemacht?“
Und das Team, das zur EM gefahren ist, hat’s jetzt geschafft?
Naja, es geht ja immer weiter. Bei der U18 EM waren wir 16 Spielerinnen. Jetzt geht’s hoch zur U21 und dafür wurden nach der EM acht oder neun Spielerinnen des EM-Kaders nominiert. Der Rest ist damit auch schon wieder raus. Du merkst ständig den Nominierungsdruck. Das geht als Spielerin nicht so einfach an dir vorbei.
Der Druck ist also immer da.
Ja. Das ist er!
Wo siehst du die Unterschiede zwischen Verein und Nationalmannschaft?
Im Verein kommst du zum Training, spielst und machst danach noch was zusammen. Bei den Nationalmannschaftslehrgängen bist du die ganze Zeit zusammen. Das ist schon mal anders. Aber es ist auch professioneller in der Nationalmannschaft: Du trainierst ständig zusammen in einheitlichen Klamotten, hast einen Videoassistenten, der dir individuelle Szenen zeigt. Dazu gibt es natürlich Videobesprechungen des Teams. Auf der Bank hast du einen Co-Trainer, den du im Spiel alles fragen kannst, der dir Tipps gibt. Und auch auf der anderen Seite des Spielfelds steht ein Trainer und analysiert. Die Physios reichen dir die Trinkflasche, du bekommst ein nasses Handtuch auf den Kopf und und und … Und neben dem Platz ist eine Managerin da, die sich um jedes Detail kümmert. Das sind so Kleinigkeiten, die’s auch professionell machen.
Zur Professionalität gehören dann auch Dopingkontrollen?
Ja. Ich wurde dieses Jahr zum Beispiel in Duisburg kontrolliert, bei den Länderspielen gegen die Niederlande. Sieben oder acht Spielerinnen mussten zur Dopingkontrolle. Dazu kommen E-Learnings zum Thema Doping, um von der NADA (Nationale Anti Doping Agentur) zertifiziert zu werden.
Man muss also auch aufpassen, was man zu sich nimmt?
In der Tat. Ich hatte in der U16 zum Beispiel mal Keuchhusten. War nicht schlimm. Aber der Arzt hat mir ein Medikament verschrieben, in dem Inhaltsstoffe waren, die auf der Dopingliste stehen. Damals konnte ich sowieso nicht spielen, weil ich noch krank war. Aber der Bundestrainer hat das zum Anlass genommen, uns auf die Problematik hinzuweisen: „Schaut genau hin, was ihr einnehmt!“
Wie bist du eigentlich zu all dem gekommen? Hattest du den Plan „Ich möchte Nationalspielerin werden“?
Nein, so gar nicht. Ich hatte keine Ahnung, wie man da hinkommt. Ich kannte damals einige A-Nationalspielerinnen, war Fan, habe mir mal Autogramme bei der Hallen-WM geholt. Aber bei uns im Verein gab’s ja auch niemanden, der Nationalspieler war. Die erste beim ESV, die da reinschnupperte, war Yara. Sie hatte 2016 ihren ersten Einsatz bei der U16 gegen Frankreich. Das habe ich damals aber nur am Rande registriert. Ich selbst war als B-Mädchen in den Landeskader gekommen und habe die ganze BHV-Zeit durchgemacht, alle Turniere gespielt. Dann bin ich durch die Landessichtung zu einem Arbeitslehrgang, das war sozusagen der Perspektivkader der U16. Auch dort wird man gesichtet und so ging es für mich zu Länderspielen gegen England und dann zum Sommerturnier. Und drin war ich. Ich habe sozusagen den Seiteneingang genommen.
Ab wann war dein Ehrgeiz vollends geweckt?
Ab der Landessichtung. Da war mir klar, ich will mal ein Nationaltrikot mit meinem Namen hinten drauf tragen. Das habe ich jetzt mit der U18 EM geschafft (lacht).

Ab wann gibt’s so ein Trikot?
Eigentlich erst ab der A-Nationalmannschaft, aber auch bei Jugendturnieren wie der EM.
Was hat dein Körper zu deinem Ziel „Namenstrikot“ gesagt? Das ist ja schon eine ganz schöne Beanspruchung.
Erstmal toi toi toi, ich hatte nie etwas Ernstes. Aber nach den Lehrgängen war ich schon immer sehr sehr fertig. Das ist schon heftig! Der Körper braucht nach diesen meist fünf Tagen zwei, drei Tage Pause. Längere Zwangspausen gab’s natürlich auch mal, bei kleineren Verletzungen vielleicht sogar ein paar Wochen. Aktuell ist meine Patellasehne im Knie gereizt, das schränkt mich natürlich ein. Aber es gab nie etwas Ernstes. Mein Körper hat immer gut mitgemacht. Dabei hilft natürlich Training, Training, Training.
Heißt?
Ich habe viel individuelles Athletiktraining beim ESV gemacht. Jetzt ist Krafttraining dazugekommen. Das beugt Verletzungen vor. Und du fliegst nicht bei jedem Rempler gleich um.
Neben der Fitness ist die Schule eine weitere große Herausforderung.
Klar. Da ist die Frage, ob man es sich leisten kann, so viel weg zu sein. Schafft man den Schulstoff noch? Jetzt gibt es ja in München die Sportschule, die einen konkret unterstützt und fördert. Auf solchen Sportschulen sind bundesweit schon viele Spielerinnen und Spieler. Bei uns in der U18 waren das geschätzt knapp ein Drittel.
Wäre das was für dich gewesen?
Nein. Mir war immer auch wichtig, etwas neben dem Hockey zu haben, „normale“ Freundinnen. Der Besuch der Sportschule hier in München bedeutet einfach nochmal vier Trainings mehr pro Woche. Und das morgens. Es ist sowieso schon viel Zeit, die man mit Hockey verbringt.
Und jetzt startest du durch in die USA.
Ja. Mitte August geht’s los. Ich habe ein Hockey-Vollstipendium bekommen und werde an der Stanford University in Kalifornien studieren.
Und Hockey?
… spiele ich da im Uni-Team. (Cara überlegt lange. Die Antwort fällt ihr sichtlich schwer). Das war eine richtig harte Entscheidung. Wieder ein kompliziertes Ding neben der Schule, den Verletzungen und dem Druck bei den Nominierungen. Jetzt stand ich vor der Frage, ob ich meine Chancen auf die Weltmeisterschaften für den Auslandsaufenthalt in den USA und Erfahrungen neben dem Hockeyplatz aufgebe. Zudem fragt man sich, ob es vielleicht noch vor der WM eine Verletzung gibt, die einen sowieso rauswirft. Die Entscheidung ist mir wirklich richtig schwergefallen. Zur Hilfe habe ich eine Pro-&-Contra-Liste gemacht, auf der neben Hockey und Studium natürlich Freunde, Familie und vieles mehr standen.
Und was passiert in Stanford?
Ich studiere Business und Chemie, im Prinzip das, was ich jetzt schon ein Jahr auf der TUM studiere. Das macht mir einfach extrem viel Spaß.
Und wie fühlt sich deine Entscheidung für Stanford heute an.
Auf jeden Fall richtig. Ich bleibe erstmal ein Jahr in den USA und für dieses Jahr bin ich aus der Nationalmannschaft raus. Dann muss ich mich entscheiden, ob ich weitere drei Jahre anhänge oder wieder Leistungssport machen will. Will ich den DHB nochmal in Angriff nehmen, nochmal Nationalmannschaft spielen oder nicht? Wenn ich vier Jahre in den USA studiere, bin ich für den DHB uninteressant, weil das Niveau in den USA wohl nicht gut genug ist.
Hat sich denn der ganze Aufwand, die vielen Lehrgänge und Trainings gelohnt für das Namenstrikot?
(Überlegt lange) Nicht jeder darf solche Erfahrungen sammeln, darf so etwas erleben wie eine EM. Sonst liest man nur Berichte, sieht sich Spiele im Fernsehen an. Jetzt war ich live dabei. Am Ende zahlt diese EM so viel zurück, dass ich sagen kann: Es hat sich alles gelohnt!
(Fotos mcs)
